› 1990. In Braus’ Büro klingelt das Telefon. Ob er Interesse habe, etwas zu kaufen, fragt der Anrufer konspirativ. Er sei gerade in Heidelberg und habe den Kofferraum voller Ware. Was an eine Agentengeschichte aus dem Kalten Krieg erinnert, hat einen harmlosen Hintergrund. Die männliche Stimme am anderen Ende der Leitung gehört Vladimir Birgus, einem Prager Professor für Fotografie, der kurz nach der Wende Arbeiten seiner Landsleute an den Mann bringen möchte. Bei Günter Braus stößt er auf offene Ohren. „Ich habe damals großartige Bilder von ihm erworben“, erinnert sich der Verleger. Als er den tschechischen Kunsthändler kennenlernt, ist Braus bereits seit zehn Jahren vom Sammelfieber gepackt. Auslöser ist die Gründung seines Heidelberger Verlages Edition Braus. Der erste Bildband des Start-ups heißt „Kaufmannsträume — die Hamburger Speicherstadt“ und erscheint 1982. „Irgendwann habe ich den Autor Richard Fischer gefragt, ob ich ein Foto aus dem Buch erwerben könnte. Auf diese Weise fing ich langsam an zu sammeln“, erzählt der Kunstliebhaber. Die Geschichten der BilderSo haben alle Bilder ihre Geschichten. Braus lässt sie Revue passieren, als er während des Gesprächs durch das Manuskript der Dokumentation zur Ausstellung blättert. 150 Fotografien werden im Kurpfälzischen Museum zu bewundern sein. Neben Schätzen aus Birgus’ Kofferraum werden weitere namhafte Fotografen präsentiert: Karin Székessy zum Beispiel, aber auch Will McBride, Flor Garduño, Jeff Mermelstein oder Thomas Höpker. Durch die Augen des Holländers Ad van Denderen blickt man auf die Boatpeople und Flüchtlinge im spanischen Tarifa. Einige Arbeiten sind erst kürzlich dazugekommen, denn die Suche nach Bildern hat Braus selbst nach dem Verkauf des Verlags 2010 nicht aufgegeben. „Ich tummele mich nach wie vor auf Messen und Auktionen“, berichtet er. In den letzten Jahren sei seine Sammlung noch politischer geworden. „Mittlerweile schaue ich ganz dezidiert nach Bildern, die ich für wichtig halte.“ Es sind Aufnahmen wie das entlarvende Porträt von Vladimir Putin, das Sergey Maximishin, ein russischer Atomphysiker und Autodidakt, im wahrsten Sinne des Wortes eingefangen hat.
Die Kunst begleitet Braus schon sein ganzes Leben — beruflich wie privat. Auch zu Hause ist er davon umgeben. Leere Wände gibt es in seinem Heidelberger Haus nicht, überall hängen Bilder — Fotografien, aber auch Grafiken, Drucke und Ölgemälde, die von seiner Frau, einer Künstlerin, stammen. Wenn Braus wie jetzt am Esstisch sitzt, fällt sein Blick auf eine faszinierend strenge Schwarz-Weiß-Aufnahme von Robert Häusser. Den eingehüllten Boliden von Jochen Rindt hat der Fotograf 1970, zwei Wochen vor dem tödlichen Unfall des Rennfahrers, vor seine Linse gebracht. „Der Wagen sieht aus wie ein Sarg“, findet der Sammler. „Es ist eines der Bilder, die mich immer wieder beschäftigen, weil es etwas Visionäres hat.“ Die Aufnahme daneben wird bald für die Ausstellung abgehängt. Sie zeigt eine surreale Urlaubswelt rund um die Pyramiden von Gizeh, fotografiert vom berühmten Briten Martin Parr. Jugend am BodenseeVon Kindesbeinen an interessiert sich Braus für die Fotografie. Schon in seiner Jugend am Bodensee experimentiert er mit der Kamera seines Vaters. „Ich habe vor allem Landschaften und das Spiel von Licht und Schatten fotografiert.“ Anregungen holt er sich auch von Siegfried Lauterwasser, einem berühmten Fotografen, der in Überlingen lebte. „Im Schaufenster seines Ladens hingen dessen Arbeiten. Ich habe sie bewundert“, erinnert sich Braus. Später assistiert er einem anderen Profifotografen und darf dort seine eigenen Filme entwickeln. Doch je mehr er sich mit der künstlerischen Fotografie befasst, desto seltener drückt Braus selbst auf den Auslöser. „Ich habe immer klarer den Unterschied zwischen einem Profi und einem Amateur erkannt. Irgendwann habe ich nur noch im Urlaub geknipst und das Aufwachsen meiner Kinder dokumentiert.“ Seine Sammeltätigkeit teilt er in zwei Phasen ein. „Anfangs“, erzählt Braus, „war ich wie ein Hamster, aber nicht, weil ich die Bilder unbedingt haben musste, sondern weil sie mir gefallen haben.“ Erst nachdem er aus dem Verlag ausgestiegen ist, beginnt er, seine Schätze zu dokumentieren: Bild für Bild hat er sie nun digitalisiert, sodass er inzwischen jedes auf Knopfdruck aufrufen kann und jederzeit einen genauen Überblick über das Konvolut hat. „Meine Kinder haben fürchterlich mit mir geschimpft“Doch nach welchen Kriterien wählt Braus die Werke aus? „Mich beschäftigt die Frage, was sie bewirken können und welche Botschaften sie haben“, erklärt der ehemalige Verleger. Der Marktwert ist ihm dabei nicht so wichtig. So besitzt er zum Beispiel kein einziges Werk von der hochgehandelten Künstler Jörg Immendorff oder Günther Uecker, obwohl er für beide Kataloge publiziert hat. „Meine Kinder haben deshalb fürchterlich mit mir geschimpft“, sagt Braus fast belustigt. Aber sein Thema ist und bleibt die Fotografie, nicht Malerei, nicht Objekt- oder Aktionskunst. Die Ausstellung im Kurpfälzischen Museum ist eine Hommage an die Gattung und die fotografierenden Menschen. ‹
Menschen — Fotokunst aus der Sammlung Braus
15. März bis 24. Juni 2018
Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg
www.museum-heidelberg.de
Fotonachweise
Preview: János Stekovicz, „Die Junggesellen“, 1986; Aufmacher: Jeff Mermelstein, „Sidewalk, New York City“, ca. 1990; Silder: Anselm Spring, „99 Cents“, 1982; Oleg Klimov, „Grosny“, 1995; Rolf Verres, „Straßengeiger in Quito“, 1982; Michael Schnabel, „Kopfsprung“, 2000; Karin Szekessy, „Miriam mit Hut“, 1985
Menschen — Fotokunst aus der Sammlung Braus
15. März bis 24. Juni 2018
Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg
www.museum-heidelberg.de
Fotonachweise
Preview: János Stekovicz, „Die Junggesellen“, 1986; Aufmacher: Jeff Mermelstein, „Sidewalk, New York City“, ca. 1990; Silder: Anselm Spring, „99 Cents“, 1982; Oleg Klimov, „Grosny“, 1995; Rolf Verres, „Straßengeiger in Quito“, 1982; Michael Schnabel, „Kopfsprung“, 2000; Karin Szekessy, „Miriam mit Hut“, 1985
Kurpfälzisches Museum
Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr