› Auch wenn sie musikalisch deutlich vielschichtiger ist, in Sachen Popularität kann „Carmen“ mit den großen Musicals unserer Zeit mithalten: Selbst Menschen, die Oper noch nie auf der Bühne gesehen haben, kennen die Ohrwürmer aus Georges Bizets Werk. Ein Beispiel ist die Habanera, auch bekannt als „Die Liebe hat bunte Flügel“. Für sie ließ sich Bizet von einem kubanischen Tanzlied inspirieren. Der französische Komponist, dem die Anerkennung zu Lebzeiten verwehrt blieb, wollte damit den südlichen Himmel und mediterranes Lebensgefühl in Töne fassen. Die eingängigen Melodien der Oper wirken bis heute. „Man geht nach jeder Probe mit jeder Menge Ohrwürmern nach Hause und hat sich trotzdem nicht leidgehört“, versichert Dietger Holm, stellvertretender Generalmusikdirektor des Heidelberger Theaters, der die Aufführung dirigieren wird. Skandal um CarmenUnd obwohl die Melodien eingängig sind und heute eher für mediterrane Leichtigkeit stehen, war der Start von Bizets Oper eher holprig. So war die Uraufführung in der Pariser Opéra-Comique im Jahr 1875 alles andere als ein Erfolg. Im Gegenteil: Sie löste einen Skandal aus. Denn so eingängig und unbeschwert die Melodien erscheinen mögen, sind Geschichte und Handlung durchaus ernst und kritisch. Bizets Oper lenkt, angeregt von den naturalistischen Romanen Émile Zolas, den Blick auf die unterprivilegierten Gesellschaftsschichten und deren Probleme. Nicht zu Unrecht gilt „Carmen“ deshalb als Vorläufer des Verismus. „Mich fasziniert, dass so etwas Mitte des 19. Jahrhunderts überhaupt auf die Bühne gestellt wurde, und das mitten in Paris“, sagt die Heidelberger Operndirektorin Ulrike Schumann. Von der Fabrik ins SchmugglermilieuDie Oper führt zurück ins 19. Jahrhundert. Carmen ist Arbeiterin in einer Zigarrenfabrik in der Flamenco-Stadt Sevilla. Don José, ein braver Soldat, will seiner Mutter zuliebe das Waisenmädchen Micaela heiraten. Doch die Begegnung mit der Fabrikarbeiterin Carmen, die bald ins Schmugglermilieu abdriftet, weil sie dort so sein kann, wie sie ist, wirft ihn aus der Bahn. Er verliebt sich Hals über Kopf in sie und gibt sein bürgerliches Leben auf. Die Beziehung scheitert, weil Carmen Don Josés Besitzansprüche nicht erträgt. Sie verlässt ihn und wendet sich dem umjubelten Torero Escamillo zu. Carmen ist eine emanzipierte Frau, die sich von niemandem vorschreiben lässt, wen sie zu lieben hat — eine weibliche Selbstermächtigung im 19. Jahrhundert. „Ich finde es beeindruckend, wie sie das bis zur letzten Konsequenz durchzieht: Das ist mein Leben und ich lasse mir nicht oktroyieren, wie es auszusehen hat“, betont Schumann. Ihre Lieblingsszene ist das Kartenterzett. „Es beginnt spielerisch und mit Leichtigkeit, doch dann zieht Carmen die Todeskarte. Alle erschrecken, aber sie sagt, das sei logisch. Das ist für mich der wahrste Moment.“ Im Sog der MusikEin Grund für den Erfolg ist sicher auch die niemals nachlassende Spannung und der Sog, der von Handlung und Musik ausgeht. „Obwohl man das Stück so gut kennt, ist es für mich immer wieder unbeschreiblich, wie präzise es ist. Es ist knapp erzählt, da gibt es nichts Überflüssiges“, schwärmt Dirigent Holm. Die Popularität hält bis heute an. Immer wieder bedienen sich Filmmusiken bei Carmen. Und selbst in der Popkultur ist die Oper angekommen: Der Berliner Volkan Melendiz rappt „Fuck you all“, seine derbe Schmähung von Politik und Gesellschaft, auf die Habanera. Mit Gangsta-Rap hat die Inszenierung von Anja Kühnhold aber nichts zu tun. Die Regisseurin integriert in ihrer Open-Air-Fassung eine Erzählerin aus Bizets Streitchor: Manuelita. „Die Figur schildert ihre Sicht auf die Geschichte und verbindet damit die Handlungsstränge“, erläutert Operndirektorin Schumann. Da im Freilufttheater keine Übertitel möglich sind, erleichtert dieser dramaturgische Kniff dem Publikum das Verständnis der Oper, die in der Originalsprache Französisch aufgeführt wird. Die Rolle der Carmen ist mit den beiden Mezzosopranistinnen Almerija Delic und Anna Alàs i Jové doppelt besetzt. Don José wird von Jaesung Kim aus dem eigenen Ensemble und Park Jihoon verkörpert.
Wie in jeder Festspielsaison finden auch in diesem Jahr wieder mehrere Schlosskonzerte statt — zwei von ihnen führen ebenfalls in südliche Gefilde. „Viva la musica“ heißt es beim Belcanto-Programm des ersten Schlosskonzerts. „Eine Operngala hat eine gewisse Tradition auf dem Schloss — letztes Jahr war sie weitgehend französisch, dieses Mal ist sie italienisch“, berichtet Holm. Die Sänger*innen kommen aus dem Opernstudio der Mascarade Opera Florenz, einer Stiftung, die aufstrebenden Opernkünstler*innen Ausbildungs- und Auftrittsmöglichkeiten bietet. Im zweiten Schlosskonzert „Ne me quitte pas“ erweckt Dominique Horwitz die Lieder des 1978 verstorbenen belgischen Chansonniers Jacques Brel zu neuem Leben. Das letzte Schlosskonzert ist mit Astor Piazzollas „Aconcagua“ dem Tango gewidmet. Mit dem schluchzenden Bandoneon des Argentiniers Marcelo Nisinman geht das Festival vor der Kulisse der Schlossruine zu Ende. ‹
Heidelberger Schlossfestspiele
Theater und Orchester Heidelberg
13. Juni bis 03. August 2025
Heidelberger Schloss
www.theaterheidelberg.de
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Bildnachweis:
Susanne ReichhardtHeidelberger Schlossfestspiele
Die weltbekannte und einzigartige Heidelberger Schlossruine bildet auch in dieser Sommersaison die Kulisse für die Schlossfestspiele. Im Schlosshof, im Dicken Turm und im Englischen Bau erwartet die Besucher ein abwechslungsreiches Programm bestehend aus Musical, Schauspiel, Konzert und Jungem Theater.
TerminFR 13. Juni bis SO 03. August 2025
AdresseTheater & Orchester der Stadt Heidelberg // Theaterstraße 10 // 69117 Heidelberg // Kartentelefon: 06221 58-20000 // E-Mail: tickets@theater.heidelberg.de
SpielorteSchloss Heidelberg