Die 1920er-Jahre in Mannheim

„Es war ein sehr organischer Prozess“

Herr Holten, heute sind Sie an der Stelle von Gustav Friedrich Hartlaub, der vor fast 100 Jahren mit seiner Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit“ eine Epoche prägte. Ist denn der Job als Museumsdirektor noch mit dem Ihres Kollegen vergleichbar?
Die Herausforderungen haben sich sicher gewandelt. Ich kann mir aber gut vorstellen, wie es damals für ihn gewesen sein muss, als er hartnäckig über mehrere Jahre ein Ausstellungsvorhaben geplant hat, bei dem es darum ging, seine Beobachtung zu teilen, dass die Künstler seiner Zeit etwas Neues verband. Dass es ihm dabei gelang, einen Titel zu finden, der den Stil seiner Gegenwart beschrieb und der uns nun schon seit 100 Jahren begleitet, das konnte Hartlaub natürlich nicht wissen.

Was sind denn die heutigen Herausforderungen?
Bei einem großen Projekt wie unserer Jubiläumsschau zur Neuen Sachlichkeit spielen viele Faktoren mit hinein. Die meisten haben nichts mit dem feinen Auge des Kunsthistorikers zu tun. Es geht um die Netzwerk-Pflege mit Museumshäusern weltweit, um die entsprechenden Leihgaben zu bekommen. Außerdem müssen wir sehr weit im Voraus planen. Geld spielt natürlich eine große Rolle, die Logistik ist enorm und auch das Rahmenprogramm soll passend sein. Für dieses Jubiläum war es uns von Anfang an wichtig, auch mit anderen Institutionen ins Gespräch zu kommen und herauszufinden, wie man dieses Jubiläum zu einem gesamtstädtischen Ereignis machen kann.

Warum war Ihnen das wichtig?
Mannheim ist eine Stadt der Moderne, die die 1920er-Jahre stark geprägt hat. Als ich anfing, mit anderen Kolleg*innen ins Gespräch zu kommen, bin ich auf großes Interesse gestoßen. Überrascht war ich dann doch davon, welche Eigendynamik das Projekt aufgenommen hat und wie viele verschiedene Institutionen — es sind mittlerweile 35 — sich beteiligen. Ganz im Sinne der Neuen Sachlichkeit sind auch alle Gattungen mit dabei — Musik, Kunst, Architektur, Theater, Film und Literatur.

Wie funktioniert das Netzwerk?
Wir haben eine gewisse kuratorische Offenheit walten lassen und alle konnten selbst ihren Ansatzpunkt wählen, passend zu ihrer Expertise und ihren Möglichkeiten. Es war ein sehr organischer Prozess, dieses Programm zusammenzustellen, das am Ende weder danach riecht, von einer Marketingagentur ausgedacht zu sein, noch vom Kulturausschuss des Gemeinderats. Es ist schön zu sehen, dass dieses Netzwerk mehr ist als die Summe der einzelnen Teile und wirklich etwas Gemeinsames entstanden ist. Auch wenn ich nicht glaube, dass man diese Zusammenarbeit einfach per ‚Copy and Paste‘ auf das nächste Jubiläum übertragen kann, so wird es spannend sein, zu sehen, ob wir auch in Zukunft die Netzwerkarbeit fortsetzen und vielleicht sogar noch ausbauen können.

Spielt die Neue Sachlichkeit auch abseits der Historie noch eine Rolle für die Kunsthalle?
Ja, was das Sich-Hinwenden auf konkrete soziale Phänomene be-trifft. Wir haben uns in der Jubiläumsausstellung bewusst dagegen entschieden, Malerei der Gegenwart zu zeigen, die einen neusachlichen Stil aufgreift. Vielmehr verstehen wir es als unseren Auftrag, Gegenwartskunst zu zeigen, die sich mit gesellschaftspolitischen Themen beschäftigt und Missstände in den Blick rückt.

„Die 1920er-Jahre in Mannheim“
Veranstaltungsreihe anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit“
01. September 2024 bis 09. März 2025
www.1920er.art
Bildnachweis:
Daniel Lukac, © Kunsthalle Mannheim

Die 1920er-Jahre in Mannheim

Zahlreiche Mannheimer Institutionen nehmen die Ausstellung „Die Neue Sachlichkeit — Ein Jahrhundertjubiläum“ in der Kunsthalle Mannheim zum Anlass, um unter dem Motto „Die 1920er-Jahre in Mannheim“ vom 1. September 2024 bis zum 9. März 2025 Veranstaltungen anzubieten. Die Bandbreite reicht von Ausstellungen, Konzerten und Lesungen über Theater, Oper, Film, Führungen, Vorträge und Symposien bis hin zu Partys.
Adressec/o Kunsthalle Mannheim // Friedrichsplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // E-Mail kunsthalle@mannheim.de
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