Kunsthalle Mannheim

Der Schatz von Heiligensee

> Berlin-Heiligensee, in den 1930er-Jahren: Auf die Nachbarn wirkt die Frau mit dem weißen Bubikopf leicht verschroben. Sie kennen sie als Gartenfreundin, die hingebungsvoll Obst, Gemüse und Tabak zieht. Niemand ahnt, dass sich hinter der einsamen Anwohnerin eine Dadaistin verbirgt, die zehn Jahre zuvor schrankenlose Freiheit für sich und die Kunst forderte.

Im Randbezirk der Hauptstadt hat sich Hannah Höch ein Häuschen gekauft und lebt dort während der gesamten NS-Zeit. Auf ihrem Grundstück vergräbt sie vor den Machthabern eine Truhe mit einer Vielzahl an Dokumenten, Briefen, Plakaten und Fotos der inzwischen geächteten Dada-Bewegung. „Wenn auf irgendjemanden der Begriff ‚innere Emigration’ zutrifft, dann auf Hannah Höch“, sagt die Kunsthistorikerin Dr. Karoline Hille, die gemeinsam mit Dr. Inge Herold, der stellvertretenden Direktorin der Kunsthalle, die Ausstellung kuratiert hat. Ganz bewusst habe Höch die Kontakte zu ihren Dada-Kollegen eingefroren, um diese nicht zu gefährden. Denn die Künstlerin steht als sogenannte deutsche Kulturbolschewistin auf der schwarzen Liste des Regimes.

Netzwerkerin der Avantgarde

150 Collagen, Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen zeigt nun die Mannheimer Kunsthalle in einer großen Retrospektive. „Wir legen einen Schwerpunkt auf ihr breites Œuvre, das nach 1945 entstanden ist und in der kunsthistorischen Bewertung weitgehend vergessen wurde“, betont Inge Herold. Nach dem Zweiten Weltkrieg galt die Zeitzeugin des Dadaismus und umtriebige Netzwerkerin der Avantgarde als beliebte Interviewpartnerin. Ihr Werk hingegen wurde mehr oder weniger ignoriert: ihre Fotomontagen etwa, die sie nach 1945 aus farbigem Zeitschriftenmaterial klebte, ihre Ölbilder, die das Prinzip Collage malerisch verwandelten, ihre Ausflüge ins Figurative und Abstrakte.
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    Auch nach dem zweiten Weltkrieg ist Hannah Höch künstlerisch sehr aktiv geblieben: "Das ewig Weibliche" entstand 1967.
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    Wie die neue Architektur alles überragt, veranschaulicht Höch mit ironischem Blick in der Collage "Fortgeschritten".
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    Hannah Höch pflanzte nicht nur Blumen und Gemüse im eigenen Garten. Sie waren auch Motive ihrer Kunst.
In der Schau „Hannah Höch. Revolutionärin der Kunst“ stellen die Kuratorinnen diese Vielseitigkeit in acht Themengruppen dar. Sie heißen unter anderem: Leben in den großen Städten, Paradiesgärtlein und Horrorvegetation, Terrorjahre des Naziregimes oder das ewig Weibliche. Die Collage „entartet“ aus dem Jahr 1969 verweist zum Beispiel auch auf Höchs ambivalentes Verhältnis zu Geschlechterrollen. Zu sehen ist ein kopfloser weiblicher Torso, den eine frei schwebende Hand begrabscht.

Liaison mit Raoul Hausmann

In den 1920er-Jahren hat sich Hannah Höch einmal ironisch als potenzielle Mutter inszeniert. Auf einem Foto posiert die Künstlerin mit zwei Puppen in den Armen und schreibt dazu: „Die Dadaistin Hannah Höch in der Unterhaltung mit ihren Töchtern Pax und Betta, die 1927 geboren werden sollen.“ Die Selbstdarstellung lässt in die Abgründe ihrer unglücklichen Liaison mit dem Wiener Dada-Philosophen Raoul Hausmann blicken. 1915 lernt Höch als junge Kunstgewerbe- und Grafikstudentin den Schriftsteller, Maler und Zeichner in Berlin kennen. Er fordert von ihr bedingungslose Hingabe, selbst aber will er sich nicht von Frau und Kind trennen. Nach sieben Jahren ist diese prekäre Beziehung gescheitert. 1926 verliebt sich Höch in die niederländische Schriftstellerin Til Brugman und bleibt mit ihr neun Jahre zusammen.

Sogar das hohe Alter und ihre geschundenen Hände bremsen Hannah Höch nicht. „Es ist verbürgt, dass sie bis zum letzten Tag gearbeitet hat“, sagt Expertin Karoline Hille. Die Künstlerin stirbt 1978 mit 88 Jahren in Berlin. In ihrem verwunschenen Haus an der Peripherie hat sie auch nach 1945 Papiere und Fotos aus der Dada-Zeit in Schubladen und Schachteln gestapelt. Dass diese Dokumente die braune Herrschaft überlebt haben, zeigt, mit welchem Mut Hannah Höch ihr Werk verteidigt hat — notfalls eben auch mit Hacke und Spaten. <

Hannah Höch. Revolutionärin der Kunst
22. April bis 14. August 2016
Kunsthalle Mannheim

Kunsthalle Mannheim

Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
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