Hambacher Schloss

Mit Elise aufs Fest

› Wie echte Revolutionäre sehen wir nicht gerade aus, die wir uns an diesem kühlen Sonntagmittag im April unter dem Kastanienbaum vor dem Hambacher Schloss versammelt haben. Unsere Fleece- und Daunenjacken deuten darauf hin, dass wir wohl eher moderne Ausflügler als bürgerliche Aktivisten sind. Und dennoch werden wir unversehens in die revolutionären Ereignisse hineingezogen. „Habt ihr die bayrischen Soldaten gesehen?“, ruft eine offensichtlich sehr erregte Frau aus, die im Laufschritt auf uns zustürmt. Mit ihrem Strohhut, fest unter dem Kinn verschnürt, mit ihrem knöchellangen Kleid, der roten Schürze und den festen schwarzen Schuhen hebt sie sich deutlich von unserer Gruppe ab, inmitten derer sie nun steht und immer noch aufgeregt davon berichtet, dass eben jene bayrischen Soldaten die freiheitsliebenden Bürger, die sich am Jahrestag des Hambacher Festes zu einem Zug versammelt haben und aufs Schloss hoch wollen, schwer drangsalieren, so heftig, dass einer der Bürger unter den Schlägen der Soldaten sogar schon tot zusammengebrochen sei.
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    Schwarz-Rot-Gold: Bei den inszenierte Führungen im Hambacher Schloss erleben die Besucher die Ereignisse rund um das Hambacher Fest hautnah mit und …
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    … erhalten an verschiedenen Stationen lebendige Einblicke in die Geschichte, bis sie …
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    … schließlich in der Dauerausstellung ankommen, in der auch Original-Requisiten vom Hambacher Fest zu sehen sind.
Nach ein paar Minuten hat sich die Dame mit dem Hut dann aber doch insoweit beruhigt, dass sie sich uns als Elisabeth Hornig, genannt Elise, vorstellt. In der nächsten Dreiviertelstunde wird Elise uns um und im Hambacher Schloss herumführen und genau berichten, wie es damals im Jahr 1832 war, als die deutschen Bürger nach der bleiernen Zeit der Restauration für Einigkeit, Recht und vor allem für die Freiheit hier an diesem Ort beim Hambacher Fest ein Fanal setzten. Sie wird zum Beispiel von ihrem späteren Mann, dem Advokaten Gustav Adolf Gulden, erzählen, der auch dabei war beim Fest, dann, ein Jahr später, bei der Verteidigung der 13 Hauptangeklagten des großen Landauer Prozesses nach dem Fest half und 1848 — inzwischen Ehemann von Elise — als Abgeordneter ins erste deutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche gewählt wurde. Oder von ihrem Onkel Georg Frey, bei dem sie nach dem frühen Tod ihrer Mutter aufwuchs und der zu den Unterzeichnern der Einladung zum Fest gehörte.

625 Gulden — das Schloss als Schnäppchen

Unser Weg führt über mehrere Stationen: der Kastanienbaum, die Brüstung mit dem grandiosen Blick über die Rheinebene, der schmale Weg entlang der Festungsmauer mit ihren mächtigen Buckelquadern. Ganz nebenbei erfahren wir etwas über die Bedeutung der „Keschde“, der Esskastanien also, die hier am Rand des Pfälzerwalds in rauen Mengen gedeihen und bei jeder Neustädter Bürgersfamilie im Spätsommer in zahllosen Rezeptvarianten auf den Tisch kommen.

Elise erläutert uns auch die Geschichte des Schlosses, das zunächst eine stolze Burg war, dann ein Forstamt beherbergte und schließlich zur Ruine verkam, ehe es nur wenige Jahre vor dem Fest von 16 Bürgern aus Neustadt, Mussbach und Winzingen für 625 Gulden ersteigert wurde. Und sie erspart uns auch nicht die bittere Pointe, dass das Gemäuer, das inzwischen zum Sinnbild der Freiheit geworden war, nur zehn Jahre nach dem Hambacher Fest von den königstreuen Eigentümern dem bayrischen Kronprinzen und späteren König Maximilian II. zum Hochzeitsgeschenk gemacht wurde.
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    Die Scahuspielerinnen und Schauspieler verkörpern historisch belegte Personen, von denen …
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    … teilweise belegt ist, dass sie am hambacher Fest teilgenommen haben und dabei vielleicht …
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    … Banner wie dieses aufs Schloss trugen.
Zwischendurch dürfen wir einen Blick auf ein Bild ihres Schwarmes werfen, den Gustav, den sie acht Jahre nach dem Fest heiraten wird. Nur kurz, dann lässt sie das Amulett mit dem Bild wieder in ihrer Schürze verschwinden. Zu viel Romantik und Schwärmerei sind nicht gut für die Revolution, versteht sich. Stattdessen verteilt Elise jetzt schwarz-rot-goldene Kokarden, die wir uns brav ans Revers heften, um nur wenige Minuten später mehr oder weniger inbrünstig „Die Gedanken sind frei“ schmetternd hinter unserer Gästeführerin in den Innenhof des Schlosses einzumarschieren. Elise schwenkt inzwischen beherzt eine schwarz-rot-goldene Fahne. Und während uns ein kalter Wind um die Ohren bläst, stellen wir uns vor, wie hier in jenen Maitagen im Jahr 1832 Pulte aufgebaut waren, an denen die Festredner ihre euphorischen Pamphlete deklamierten und ihren Mitstreitern das süße Lied der Freiheit sangen.

„Kämpfen Sie für die Freiheit!“

Vom Hof aus ist es dann nur noch ein kurzer Weg ins Innere des Schlosses, wo unsere Zeitreise vor der Vitrine mit dem Original jener Fahne endet, die damals von den Revolutionären auf ihrem Zug zum Schloss geschwenkt wurde. Diesen historischen Stoff nimmt die Pfälzer Revolutionärin zum Anlass, uns eindringlich daran zu erinnern, dass die Freiheit nicht selbstverständlich ist, sondern dass wir sie jeden Tag neu erstreiten und verteidigen müssen: „Kämpfen Sie für die Freiheit! Und achten Sie dabei die Freiheit der anderen!“



Geschichte erleben
Zusätzlich zu den regulären Führungen und der spannenden Dauerausstellung „Hinauf, hinauf zum Schloss!“ bietet das Hambacher Schloss eine ganze Reihe an besonderen Führungen, die die bewegte Geschichte des Schlosses lebendig werden lassen.

Auf Zeitreise mit den Freiheitskämpferinnen und -kämpfern von 1832
Inszenierte Führung für Erwachsene
26. Juni & 21. August 2016, jeweils 13 Uhr

„Kinder! Hinauf, hinauf zum Schloss!“
Inszenierte Führung für Kinder (ab 7 Jahre)
09. Juli & 06. August 2016, jeweils 13 Uhr

Geschichte begreifen
Führung für Menschen mit Sehbehinderung
03. September 2016, 13 Uhr

Über 1000 Jahre Baugeschichte — Vom Buckelquader bis zur skulpturalen Mauer
Architekturführung
24. Juli & 25. September 2016, jeweils 13 Uhr

Die „keusche Frucht“ und ihre Kulturgeschichte
Kastanienführung
04. Juni sowie 08. Oktober & 23. Oktober 2016, jeweils 13 Uhr

Infos und Anmeldung unter www.hambacher-schloss.de

Hambacher Schloss

Seit im Mai 1832 zum ersten Mal die schwarz-rot-goldene Fahne auf dem Kastanienberg bei Neustadt wehte, gilt das Hambacher Schloss als Wiege der deutschen Demokratie. Heute ist das Schloss eine nationale Gedenkstätte, die mit der Dauerausstellung „Hinauf, hinauf zum Schloss!“ interessante Einblicke in die deutsche (Demokratie-)Geschichte bietet. Bei Veranstaltungsreihen wie den Hambacher Gesprächen, dem Hambacher Disput oder dem Demokratie-Forum Hambacher Schloss sind regelmäßig renommierte Gäste vor Ort, die aktuelle politische Themen beleuchten und diskutieren. Abgerundet wird das Programm durch Sonderausstellungen, Kulturevents (Kabarett, Kindertheater und Konzerte ) und Gastveranstaltungen wie dem Hambacher Fest-Bankett. 2015 wurde die Gedenkstätte Hambacher Schloss als erst zweite Institution in Deutschland mit dem Europäischen Kulturerbe-Siegel ausgezeichnet.
TerminSO 26. Juni bis SO 23. Oktober 2016
AdresseStiftung Hambacher Schloss // 67434 Neustadt an der Weinstraße // Telefon: 06321 926290 // E-Mail: info@hambacher-schloss.de
Öffnungszeitentäglich von 10 bis 18 Uhr (April bis Oktober) und von 11 bis 17 Uhr (November bis März)
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