So oft haben wir das Programm gar nicht umgebaut, sondern eher versucht, zweigleisig zu fahren. Allerdings haben wir lange an einem Live-Festival festgehalten, das sich auch ins Digitale übersetzen lässt. Vor einigen Wochen stand dann angesichts der großen Planungsunsicherheit fest, dass wir ein überwiegend digitales Programm weiterverfolgen mussten. Die großen Gastspiele werden wir als Theaterfilme im Internet zeigen. An unseren Eigenproduktionen halten wir jedoch fest. Wir werden sie im ersten Schritt im Internet präsentieren und sobald das wieder möglich ist auch vor Publikum zeigen. Darüber hinaus gibt es Projekte im öffentlichen Raum, für die man sich nicht versammeln muss.Das Festival-Motto heißt „zusammen“. Wie viel davon können Sie retten?
Wir konzentrieren uns auf die Frage, wie Zusammengehörigkeitsgefühl, Zusammenhalt und Zusammensein entstehen können, wenn man sich nicht physisch begegnen kann. Zu diesen zentralen Begriffen entstehen auch neue künstlerische Projekte, digital und analog.Die freie Szene Mannheims steuert eigene Beiträge bei. Ist die Tatsache, dass man sich jetzt solidarisiert, ein positiver Effekt in der aktuellen Situation?
Interessanterweise hatten wir das schon vor dem Ausbruch der Pandemie geplant. Doch Corona hat uns darin bestärkt, solche Kooperationen künftig noch viel stärker einzugehen. Wir wollen herausfinden, was wir erreichen können, wenn wir die Kräfte bündeln. So entstand die Idee zur Zusammenarbeit mit dem EinTanzHaus, dem Künstlerhaus zeitraumexit und dem Theaterhaus G7, die in drei sehr verschiedenen Arbeiten mündet.Die Theater probieren momentan neue Formate aus. Wird es bei den Schillertagen ebenfalls Experimente geben?
Wir planen rein digitale Formate und solche, die digitale Technik verwenden, um das Publikum dazu zu bringen, etwas zu tun. Ein Projekt, auf das ich mich sehr freue, ist „Useless Land“. Dabei verbringen zwei Schauspielerinnen gemeinsam mit den Zuschauer*innen die Nacht, und zwar in ihren jeweils eigenen Betten — Zoom macht’s möglich. Die Performerinnen erzählen Geschichten in verschiedenen Sprachen und als Zuschauer kann ich mich von ihnen in den Schlaf wiegen lassen. Die chinesische Künstlerin Mengting Zhuo wiederum geht für uns spazieren, während wir auf dem heimischen Sofa sitzen und über eine Website mit ihr kommunizieren. Und für „Allegedly“ schaltet sich ein hochenergetisches reines Frauenensemble live über das Internet aus Indien zu.
Das ist ein Stück, in dem es unter anderem um die Frage geht, was wir erreichen können, wenn wir zusammenhalten, welchen Preis wir dafür zahlen und wen wir womöglich ausschließen. Diese Ambivalenz hat uns interessiert. Sie werden das Stück sowohl digital als auch für die Bühne inszenieren. Wie kann man sich das vorstellen?
Wir planen, „Die Jungfrau von Orleans“ live zu streamen, dabei aber auch während der Proben entstandenes Filmmaterial zu verwenden. Dafür begleitet ein Kamerateam den Probenprozess. Bei der Premiere kommen mehrere Kameras und eine Live-Bildregie zum Einsatz, sodass man die Aufführung tatsächlich aus verschiedenen Blickwinkeln erleben kann. Parallel produzieren wir eine Inszenierung ohne Filmebene für den Theatersaal. Das ist sehr aufwendig, zugleich aber auch ein spannendes künstlerisches Experiment.Sie haben für das Projekt die junge polnische Regisseurin Ewelina Marciniak gewonnen. Welches ist ihr Inszenierungsansatz?
Ewelina Marciniak ist in ihrer Heimat und in Deutschland schon vielfach ausgezeichnet worden. Sie hat einen radikalen Blick auf den Stoff und interessiert sich vor allem für die Frauenfiguren, nicht nur Johanna von Orleans selbst, sondern auch die Mutter oder die Geliebte des Königs. Sie untersucht die Herausforderungen, die sich für Frauen in einer von Männern dominierten Welt ergeben. Wie kommt eine Frau zu einem Bild von sich selbst, wenn die Beschreibungen, die sie erhält, immer von Männern stammen? Schiller hat viele starke Frauenfiguren entworfen, an denen man sich heute durchaus reiben kann. Daher wollte ich unbedingt eine weibliche Regiehandschrift finden.
Die Internationalität ist mir sehr wichtig. Schiller war lange Zeit der meistgespielte deutsche Autor im Ausland, und zwar überall dort, wo es starke Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegungen gab. Mittlerweile wird er im Ausland kaum noch rezipiert. Ich finde es interessant, dass ein Autor, der für das Selbstverständnis der deutschen Theaterlandschaft so zentral ist, außerhalb dieser fast nicht mehr wahrgenommen wird. Daher halte ich es heute — auch vor dem Hintergrund der Pandemie, die ja zu einer enormen Abschottung der einzelnen Nationalstaaten geführt hat — für zwingend geboten, dass wir das Theater, das wir hier produzieren, ins Verhältnis setzen zu künstlerischen Arbeiten aus anderen Teilen der Welt. Ich hoffe, dass es uns mit den diesjährigen Schillertagen gelingt, viele verschiedene und eben auch internationale Perspektiven auf Schiller und die Themen, für die er immer noch steht, zu eröffnen. ‹
Bildnachweis:
Arno Declair (Maria Stuart), Armin Smailovic (Ode an die Freiheit)Internationale Schillertage
Die Internationalen Schillertage sind ein alle zwei Jahre am Nationaltheater Mannheim stattfindendes Theaterfestival. Im Zentrum der Veranstaltung stehen Produktionen, die sich mit dem Werk Friedrich Schillers auseinandersetzen. Der Bezug des Nationaltheaters zu Schiller geht auf eine gemeinsame Zusammenarbeit zurück: Schiller war ab 1783 Mannheims erster Theaterdichter. Bereits im Vorjahr wurde sein Drama Die Räuber am Nationaltheater uraufgeführt. Die ersten Schillertage fanden 1978 statt. Künstlerischer Leiter der Schillertage war von 2006 bis 2017 Burkhard C. Kosminski, Intendant Schauspiel am Nationaltheater Mannheim. Die Schillertage stehen seit 2019 unter Leitung seines Nachfolgers Christian Holtzhauer.
TerminDO 17. bis SO 27. Juni 2021
AdresseNationaltheater Mannheim // Goetheplatz // 68161 Mannheim // Telefon: 0621 1680200 // Karten: 0621 1680150 // Fax: 0621 1680500 // E-Mail: schillertage@mannheim.de
Infoswww.schillertage.de