Marchivum

Alle wollen nach Mannheim

„Jawohl, gern säh ich diesen Hof zerstört!
Dem Kurfürst auch kein besseres Los gehört.
Bis auf den Grund mag sein Palast verbrennen,
Und keiner soll fortan die Stätte kennen (…)“

In dieses Schmähgedicht des Reisenden James Boswell wären zu seiner Zeit wohl nur die wenigsten mit eingestimmt. Denn als Boswell diese Zeilen in seinem Reisetagebuch notierte — der Eintrag ist auf den 07. November 1764 datiert — zog es alles, was Rang und Namen hatte, (und alle anderen auch) nach Mannheim. Der Regent hatte seinen Hof zu einem der strahlkräftigsten in Europa ausgebaut, förderte Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst gleichermaßen.

Schaut man sich genauer den Grund für das Ärgernis des schottischen Besuchers an, dürfte wohl verletzte Eitelkeit der Grund für seine harten Worte sein: Boswell, immerhin ein seinerzeit renommierter Autor und Journalist, hatte während seines Aufenthaltes keine Einladung an den Hof erhalten. Solche Perspektiven und kleinen Geschichten präsentiert das MARCHIVUM bei seinem Ausstellungsprojekt „Carl Theodors Mannheim. Die Stadt, ihre Menschen und der Kurfürst“. Die Ausstellung ist Teil des Carl-Theodor-Themenjahrs, das anlässlich seines 300. Geburtstags an vielen Orten in der Region Rhein-Neckar gefeiert wird.

„Es gibt einige Ausstellungen, die sich in diesem Jahr direkt um Carl Theodor drehen“, erklärt Thomas Throckmorton, stellvertretender Leiter des MARCHIVUM, der die Schau zusammen mit Stadthistoriker Andreas Schenk kuratiert hat. „Wir wollten möglichst mit unseren Quellen arbeiten und unsere Expertise als Stadtarchiv nutzen. So nehmen wir gezielt die Stadt und die Menschen, die in Mannheim gelebt haben, in den Blick und rücken sie ins Zentrum.“
  • Carl Theodor war ein beliebter Regent und förderte Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur in Mannheim.
  • Kein Freund des Regenten – Der Reisende James Boswell schrieb ein Schmähgedicht, da er nicht an den Hof eingeladen wurde.
Die Besucher*innen begeben sich auf eine Zeitreise ins 18. Jahrhundert, wo sie auf einem historischen Grundriss durch das Mannheim Carl Theodors wandeln. Umgeben von Darstellungen vom barocken Mannheim nach einer zeitgenössischen Stichserie der Gebrüder Klauber (Bild links) begrüßen sie insgesamt 18 bekannte und weniger bekannte Zeitgenoss*innen als lebensgroße Figuren-Aufsteller. „Wir haben uns bemüht, verschiedene Typen zu zeigen. Sie alle erzählen aus ihrem Leben, außerdem gibt es Infos, Fun Facts und wenn möglich eine Kurzbiografie“, berichtet Throckmorton. Die Besucher*innen treffen auf einige konkrete historische Persönlichkeiten wie beispielsweise den Universal-Gelehrten und Leiter des Naturalienkabinetts Cosimo Alessandro Collini oder den Gastwirt Johann Heinrich Renner, der das Gasthaus „Pfälzer Hof“ am Paradeplatz betrieb, damals die feinste Adresse Mannheims. „Als historische Person ist auch die Malerin Catharina Treu sehr interessant“, berichtet Andreas Schenk, der sich mit der Biografie der Künstlerin befasst hat. „Der Kurfürst förderte sie intensiv und ließ ihr dabei erstaunlich viele Freiheiten, sodass sie sich als Künstlerin auch außerhalb des Hofes auf dem freien Kunstmarkt zu etablieren und ein sehr selbstbestimmtes Leben führen konnte.“
  • Mit dabei: Die Künstlerin Catharina Treu. Der Kurfürst förderte sie intensiv und ließ ihr dabei erstaunlich viele Freiheiten.
Ein elfköpfiges Recherche-Team aus dem MARCHIVUM ist in die zeitgenössischen Quellen wie Reiseberichte, Memoiren und Selbstzeugnisse, Gerichtsakten, Amtsbücher, Verordnungen sowie Forschungsliteratur über das 18. Jahrhundert eingetaucht, um die „Besetzung“ der Ausstellungsfiguren zusammenzustellen. Neben den namentlich überlieferten Personen sind auch Figuren dabei, die als Individuum nicht zurückverfolgt werden können. „Als Quellen haben wir in diesen Fällen meist nicht mehr als einen Namen, sie stehen aber repräsentativ für eine ganze Gruppe“, erklärt Throckmorton. „Es gibt zum Beispiel einen Bettler, für den es kein konkretes historisches Vorbild gibt, aber er steht für das Bettelwesen, über das in den Quellen viel überliefert ist.“

Der Glanz des kurfürstlichen Hofes zog viele wohlhabende Menschen, besondere Talente und Gelehrte an, aber auch viele geschäftstüchtige „kleine“ Leute wie Händler oder eben auch Bettler. „Sie waren dem Kurfürsten zwar ein Dorn im Auge“, so Throckmorton, „aber der Schlossplatz und die sogenannte Schlossfreiheit entzogen sie der Verfolgung durch die Stadtpolizei. Wenn es ihnen gelang, dorthin vorzudringen, konnten sie sich dort ankommenden Reisenden vor die Füße werfen und ihr Glück versuchen.“

Die Reise endet im Schloss. Abgegrenzt durch eine Wand mit einer Projektion desselben, betreten die Besucher*innen so symbolisch den Hof. Dahinter sind die Kurfürstin Elisabeth Auguste und Carl Theodor ebenfalls als Aufsteller anzutreffen. Mit der Besonderheit, dass der Kurfürst selbst nicht zu Wort kommt. „Die Besucher*innen können hier ihre eigenen Gedanken zu Carl Theodor in seiner Sprechblase ergänzen“, erklärt Throckmorton. Wer möchte, kann in die Rolle des Regenten schlüpfen, denn das kurfürstliche Haupt ist mit einer Aussparung versehen — einmal den Kopf durchgestreckt wird man zu einer der schillerndsten Figuren, die Mannheim je gesehen hat. Oder man kommt alternativ nach dieser Entdeckungsreise zu dem gleichen Schluss wie einst Boswell, der sein eingangs erwähntes Poem mit einem gar drastischen Schlusspunkt versah und klarstellte: „Für ihn scharwenzelten die Schranzen all, / Bloß ich gab zu verstehn: Du kannst mich mal —“ ‹

Carl Theodors Mannheim. Die Stadt, ihre Menschen und der Kurfürst
16. Oktober 2024 bis 26. Januar 2025
MARCHIVUM, Mannheim
marchivum.de

Tipp! Noch mehr entdecken und auf den Spuren des Kurfürsten wandeln? Begleitend zur Schau kann mit der App „Actionbound“ eine digitale Schnitzeljagd durch Mannheim unternommen werden, bei der allerlei Wissenswertes über die Gebäude des Kurfürsten wie Sternwarte, Palais Bretzenheim oder Schloss zu erfahren ist.
Bildnachweis:
Kupferstich der Gebrüder Klauber nach einer Zeichnung von Johann Franz von der Schlichten, 1782.
Leonie Rapp/ rapp.design, Jacob Tegel (Illustrationen)

MARCHIVUM

Hier wird Mannheims Geschichte bewahrt und für die Zukunft gesichert. Dafür wurde Mannheims größter Hochbunker spektakulär umgebaut und der Bau in das Förderprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ aufgenommen. Das MARCHIVUM steht auf drei Säulen: das Archiv mit seinen umfangreichen Sammlungen und Beständen; die Bereiche Forschung, Bildung und Vermittlung sowie Ausstellungsprojekte zur Stadtgeschichte und NS-Zeit.
AdresseArchivplatz 1 // 68169 Mannheim // Tel. 0621 293-7027 // marchivum@mannheim.de
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