Der Name ist eine Mischung aus dem Ungeheuer von Loch Ness und der Monsterechse Godzilla. Die Künstlerin, die ihn trägt, eine zarte Mittdreißigerin, die freundlich lächelnd einen Kaffee anbietet. In einer Halle beim Steinbruch in Sinsheim-Weiler hat Nessi Nezilla ihr Atelier. Nessi sei ihr Spitzname aus Kindertagen, in der Kunstakademie habe sie ein Kommilitone Nezilla gerufen, das habe ihr gefallen. „Ein Monster muss ja nichts Schlechtes sein. Es kann aus einem Käfig ausbrechen und sich befreien“. „Ich beschloss, dass ich meine Geschichte anders erzählen muss“Zunächst studierte Nezilla Design in Schwerte und Luzern. Doch spätestens in der Schweiz habe sie gemerkt, dass sie etwas anderes reize. Nach dem Studium versuchte sie sich in der Malerei. Bei den Recherchen für ihre Abschlussarbeit stieß sie auf den belgischen Maler und Dichter Henri Michaux der in den 1970er-Jahren über seine Experimente mit psychoaktiven Substanzen schrieb. Davon inspiriert schuf Nezilla knallbunte Werke, die deutlich von ihrem Faible für Street-Art beeinflusst waren. Doch die Malerei erschöpfte sich für Nezilla. In ihren Ausstellungen wurde nur das Dekorative in ihren Arbeiten gesehen, obwohl sie sich mit Themen wie psychischen Erkrankungen befasste. „Ich beschloss, dass ich meine Geschichte anders erzählen muss“ sagt sie. Ihre Werke wurden dunkler, das Schwarz verschluckte nach und nach die Farben. Ein Nullpunkt.
Inspiration fand sie erneut in der Literatur. Sie stieß auf die Geschichte des Mädchens Sadako Sasaki, die nach den Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki 1.600 Papierkraniche faltete, um einen Wunsch bei den Göttern frei zu haben. 1955 starb sie mit zwölf Jahren an Leukämie — ihre Kraniche gelten seither als Symbol des Friedens. Das war Nezillas Initialzündung: Sie faltete eine erste Bombe in Origamitechnik. Der kleine Papier-Prototyp entwickelte sich in mehreren Schritten zu einer vier Meter hohen Skulptur aus weiß lackierten Aluminium. „Ich hatte keinen Ausstellungsort, aber ich war von der Idee so überzeugt, dass ich sie einfach umsetzen musste“, berichtet Nezilla. Schließlich kam es zum Kontakt mit dem französischen Honorarkonsul Folker Zöller in Mannheim und die „Paperbomb“ fand als Mahnmal des Friedens und der Völkerverständigung ihren Platz an verschiedenen Orten in Frankreich, die während des Ersten und Zweiten Weltkriegs Schauplätze von Massakern waren. Die „Paperbomb“ als Staatsgeschenk Seitdem hat sie für viel Aufsehen gesorgt. Bundespräsident Steinmeier übergab eine Miniatur-Paperbomb dem französischen Präsidenten Macron als Staatsgeschenk — und auch in den französischen Kommunen gab es viel Resonanz. In Tulle, einer Stadt im Zentralmassiv, zum Beispiel traf Nessi Nezilla auf Zeitzeugen, die ansehen mussten, wie ihre Familienmitglieder von den Nazis gehängt wurden. Sie nahmen Nezillas Skulptur als Zeichen des Friedens an und teilten ihre persönlichen Erinnerungen mit ihr. Am 9. Mai dieses Jahres wurde passend zum Europatag eine Paperbomb-Skulptur im Zeughausgarten der Reiss-Engelhorn-Museen enthüllt. Im Juni folgt eine weitere Skulptur in Oradour-sur-Glane in Frankreich. Aktuell steht sie noch in einem Hinterzimmer des Ateliers, das man fast als Showroom bezeichnen könnte: In Reih und Glied auf einem langen Tisch steht eine Ameisen-Armee mit Bäuchen aus Patronen. In einer früheren Version der „Invasion“ waren es echte Patronenhülsen, nun sind es 3-D-Attrappen.Dann stehen da noch zwei Flugzeugtanks, der Thron des Ballaballismus sowie zwei Plexiglas-Kreuze, gefüllt mit Schnullern. Sie sind Teil ihres aktuellen Projekts „Kunst gegen Missbrauch“. Die Wanderausstellung setzt sich für Aufklärung und Prävention von sexualisierter Gewalt an Kindern und Jugendlichen ein und wird durch ein Forschungsprojekt begleitet. Die Skulpturen sind Symbole für die Missbrauchsopfer der katholischen Kirche. Die Reaktionen seien nicht nur positiv, berichtet die Künstlerin, aber auch hier haben sie die Geschichten, die mit ihr geteilt wurden, bestärkt. Der Mensch ist das grausamste Tier“, zitiert sie Nietzsche. Doch Nessi Nezilla scheut das Monströse nicht.
nezilla.eu
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Ralf Engelsmann; Noshe (Porträt Nezilla)Local Heroes
In der Serie „Local Heroes“ präsentiert das KULTURMAGAZIN Macherinnen und Macher, die das Kulturleben bereichern und die Kulturregion Rhein-Neckar voranbringen.