› „Ich fühle mich eigentlich gar nicht wirklich wie ein Künstler, sondern vielmehr wie ein Geschichtenerzähler. Ich erzähle Geschichten durch verschiedene Medien — mit Skulpturen, Akrobatik, Kochen oder Tanzen.“ Hiwa K, 1975 im kurdischen Teil des Irak geboren, lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland. Das Ausloten eines interkulturellen Verständnisses zwischen der arabischen, kurdischen und europäischen Lebenswelt prägt sein Werk, für das er von der Kunsthalle Mannheim und der H.W. & J. Hector-Stiftung mit dem diesjährigen Hector-Preis ausgezeichnet wird. Heimat, Identität und MachtDie Geschichten, die Hiwa K erzählt, kreisen um die Themen Heimat, Identität und Macht und haben viel mit seiner eigenen Biografie zu tun. So beispielsweise in der Videoinstallation „My Father’s Colour Period“ (2013), die 16 alte Schwarzweiß-Fernsehgeräte versammelt, deren Bildschirme mit bunten Folien beklebt sind. Die Idee geht zurück auf seinen Vater, der auf diese Weise 1979 „Farbfernsehen“ ins heimische kurdische Wohnzimmer brachte. „Mein Vater war Propaganda-Kalligraf. Er hat immer gearbeitet — egal, wer an der Macht war. Und ich habe manchmal mit der Sprache meines Vaters gearbeitet.“Ebenfalls in Mannheim wird „The Bell Project“ (2014/15) zu sehen sein, das 2015 das Publikum auf der Biennale in Venedig begeisterte. Aus militärischen Abfallprodukten wie Munitionshülsen des Iran-Irak-Krieges (1980–1988) und der Golfkriege (1991, 2003) hat er in einer alten italienischen Gießerei die 60 Kilo schwere Glocke gegossen. „Ich bin kein Intellektueller“, sagt Hiwa K über sich selbst. Er sieht die elaborierte Sprache der Kunst kritisch, da sie eine Kluft schlägt zwischen Werk und Betrachter. Auf der Folie seiner persönlichen Erfahrungen gelingt es ihm, Allgemeingültiges zu formulieren. In Mannheim zeigt er die Videoarbeit „View from above“. Diese ist zur documenta 14 in Kassel 2017 entstanden. In dem Video erzählt Hiwa K die Geschichte eines Flüchtlings, der anhand von Stadtplänen beweisen muss, dass er aus jenem Teil des Irak kommt, der von der UN als „unsicher“ eingestuft ist. Denn nur so kann er Asyl erhalten. Zu Fuß nach EuropaHiwa K ist selbst in den 1980er-Jahren über den Fußweg vom Nordirak nach Europa geflohen. In seiner Heimat studierte er die Malerei des Sozialistischen Realismus und war vom Expressionismus fasziniert. In Deutschland arbeitete er in den ersten Jahren als professioneller Flamenco-Gitarrist, bevor er zur Bildenden Kunst zurückkehrte. „Für mich ist es schwierig zu sagen, ob ich überhaupt Kunst mache. Da mir die europäische Kunstgeschichte als Hintergrund fehlt, habe ich das Gefühl, als würde ich nur so tun, als ob. Die Kunst ist wie eine Prothese für mich“, erklärt er. Sinnbildlich dafür ist seine Arbeit „Pre-Image“ (2010) zu lesen: ein Stab, an dem viele Motorradspiegel montiert sind und den der Künstler wie ein Artist auf der Nase balanciert. Zurzeit beschäftigt Hiwa K vor allem die Stille und die Entschleunigung der Überproduktivität in der Kunst: „Ich klettere auf Bäume, sitze oben und schaue auf die Erde hinunter.“ Für die Hector-Preis-Ausstellung hat er ein neues Werk entworfen: einen Teppich, der eine Luftaufnahme des zerstörten Nachkriegs-Mannheims zeigt. In der mittleren der drei Sonderausstellungsgalerien soll er einen Raum der Stille, Achtsamkeit und Konzentration für die Besucherinnen und Besucher eröffnen. ‹
Hector-Preis: Hiwa K
05. Juli bis 01. September 2019
Kunsthalle Mannheim
www.kuma.art
Hector-Preis: Hiwa K
05. Juli bis 01. September 2019
Kunsthalle Mannheim
www.kuma.art
Bildnachweis:
Kunsthalle Mannheim/ Heiko DanielsKunsthalle Mannheim
Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
TerminFR 05. Juli bis SO 01. September 2019
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
Infoskuma.art