› Er zeichnete auf Bierdeckel, Speisekarten und Wein-Etiketten. Mit schnellem, sicherem Strich skizzierte er seine Figuren und Motive: Literaturkritiker mit Eierköpfen und akkuratem Seitenscheitel zum Beispiel, die ihre Füllfederhalter wie Speere führen. Friedrich Dürrenmatt war ein Meister der Groteske und hatte die Gabe, Paradoxes mit beißender Ironie ins Lächerliche zu ziehen — nicht nur in seinen Romanen und Theaterstücken, sondern auch in seinem bildnerischen Werk. Jenes ist, anders als sein literarisches Schaffen, jedoch kaum bekannt, obwohl Dürrenmatt bis zu seinem 25. Lebensjahr zwischen der Malerei und der Schriftstellerei hin- und hergerissen war. Und auch nachdem er sich für die Literatur entschieden hatte, blieben seine Zeichnungen, Gemälde und Karikaturen für sein kreatives Schaffen elementar. Sie seien keine Nebenarbeiten, so Dürrenmatt, sondern Schlachtfelder, auf denen sich seine schriftstellerischen Kämpfe abspielten.
Fast tausend dieser Arbeiten hat das Centre Dürrenmatt, das vor 20 Jahren im früheren Wohnhaus des Schriftstellers in Neuchâtel eröffnete, für die Nachwelt aufbewahrt. Zu Dürrenmatts 100. Geburtstag gewährt das Kurpfälzische Museum einen Einblick in diese Sammlung — mit rund 100 Exponaten aus dem Bestand des Centre Dürrenmatt und aus Privatbesitz. Kuratiert wurde die Schau von Régine Bonnefoit von der Universität Neuchâtel. „Für Heidelberg als UNESCO City of Literature bietet sich diese Ausstellung geradezu an“, freut sich Josua Walbrodt, Kurator der Graphischen Sammlung des Kurpfälzischen Museums. Götter, Teufel, Päpste und NonnenDürrenmatts Karikaturen sind ein höllisches Vergnügen. Sie werden von dickfelligen Göttern, Teufeln, Päpsten und Nonnen mit Engelsflügeln bevölkert und geißeln auch konkrete Missstände, wie den österreichischen Glykolwein-Skandal in den 80er-Jahren oder die Mirage-Affäre in den 60er-Jahren, als die Schweiz Jagdbomber zu überteuerten Preisen bestellte. Immer wieder gerieten seine eidgenössischen Landsleute ins Visier von Dürrenmatts Spott. Kritisch hinterfragte er Themen wie Freiheit, Neutralität und Patriotismus. Dennoch mochte er seine Landsleute. „Ich bin gerne Schweizer“, beteuerte der in einem Dorf im Emmental geborene Dürrenmatt. Die Diskussion, ob die Schweiz Atombomben herstellen soll, kommentierte der streitbare Intellektuelle mit der bildnerischen Botschaft „Zorniger Schweizer Atombomben werfend“: ein kantiges Männchen, mit den Armen eine Bombe über dem Kopf haltend, bereit sie loszuschleudern. Nietzsche auf vergilbten RingbuchblätternDie in deutscher und französischer Sprache gestaltete Ausstellung gliedert sich in mehrere Werkgruppen. Ausgangspunkt sind frühe Zeichnungen, die Dürrenmatt als Student während seiner Philosophie-Vorlesungen in Bern anfertigte. Auf inzwischen vergilbten Ringbuchblättern mit eingerissenen Löchern skizzierte er Philosophen wie Gadamer oder Nietzsche, nicht, wie sie wirklich aussahen, sondern wie er sie sich vorstellte. „Sein Professor hielt ihn für seinen fleißigsten Schüler, weil er immer mitschrieb. Doch tatsächlich produzierte er solche Karikaturen“, verrät Walbrodt. Teilweise notierte Dürrenmatt neben den Porträts allerdings komplexe philosophische Inhalte, was zeigt, dass er trotz der Zeichnerei den Ausführungen folgte. Die Religion im VisierScharfzüngig kommentierte der Sohn eines Pastors sowohl in seinem bildnerischen als auch in seinem literarischen Œuvre alles Religiöse. „Bedeutsam war das — bei aller geistigen Weite — auch sehr beengende Elternhaus mit der übermächtigen Figur des Vaters, dem Glauben, den strengen moralischen und sexuellen Tabus“, beleuchtete der Schweizer Psychiater und Begründer der Affektlogik Luc Ciompi den familiären Hintergrund Dürrenmatts. Schon dessen erstes Theaterstück „Es steht geschrieben“ von 1947 brandmarkt mit grotesken und komödiantischen Mitteln die religiöse Sekte der Wiedertäufer. Die Züricher Uraufführung entwickelte sich wegen des als blasphemisch angesehenen Inhalts zum Theaterskandal. Ein Fresko auf dem GästekloDürrenmatt hat das deutschsprachige Theater in der Nachkriegszeit maßgeblich geprägt und zu allen seinen Bühnenstücken Skizzen, Zeichnungen und Karikaturen angefertigt. „Es ist kongenial, wie er die Figuren comichaft und karikaturesk darstellt und verschiedene Perspektiven einnimmt“, schwärmt Walbrodt. Diesen Arbeiten widmet die Ausstellung ein ganzes Kapitel. Einen regionalen Bezug stellt sie mit Dürrenmatts letztem Theaterstück „Achterloo“ her. Es wurde 1988 bei den Schwetzinger Festspielen aufgeführt und ist in einer Videopräsentation zu sehen. Ebenso spektakulär ist das Fresko mit bunten Fratzen. Damit malte der Multikünstler seine Toilette aus und bezeichnete sie als Sixtinische Kapelle. Was zeigt: Dürrenmatts Ironie machte auch vor seinen eigenen intimsten Bereichen nicht halt. ‹Friedrich Dürrenmatt — Karikaturen
18. Oktober 2020 bis 07. Februar 2021
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
www.museum-heidelberg.de
18. Oktober 2020 bis 07. Februar 2021
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
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Bildnachweis:
CDN, Schweizerische EidgenossenschaftKurpfälzisches Museum
Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr