› Elena, zum dritten Mal komponierst du in Ko-Autorenschaft mit Matthias Rebstock ein Musiktheaterwerk. Bevor wir auf das aktuelle Projekt zu sprechen kommen: Wie kam es damals zur ersten Zusammenarbeit?
2005 habe ich vom Europäischen Zentrum der Künste in Dresden den Auftrag erhalten, ein Musiktheaterstück zu schreiben, das die Möglichkeiten des damals gerade renovierten wunderschönen Tessenow-Saals in Hellerau nutzte. Nach einigen kleineren Versuchen in Opernhäusern war ich von der Schwerfälligkeit der gängigen Produktionsmethoden sehr ernüchtert. Daher war es mir ein großes Anliegen, einen durchlässigeren Arbeitsvorgang zu entwickeln. Zwei Dinge waren mir dabei nach den ersten Opernerfahrungen klar: Ich wollte mit einem Regisseur von Anfang an zusammenarbeiten, bevor die erste Note geschrieben ist. Und ich wollte den Text mit ihm parallel zur Musik entwickeln. Matthias Rebstock war damals ebenfalls auf der Suche nach einer kollaborativen Form des Musiktheaters. Daraus entstand für Hellerau unser erstes Musiktheaterstück „Niebla“.Eure Form der Ko-Autorenschaft ist — soweit ich das überblicke — ziemlich einzigartig. Kannst du beschreiben, wie sich eure Zusammenarbeit vollzieht: Wie durchdringen sich kompositorische und szenische Arbeit und wo bleibt die Arbeit autark?
Ausgehend von literarischen Texten steht für uns das Imaginieren des szenischen Settings immer am Anfang. Dabei wird Szene für Szene bestimmt, welche unterschiedlichen Rollen die Musik, der Text und der Raum spielen werden. Die Musik und der Text werden dann entsprechend komponiert. Das sollte gewährleisten, dass alle Elemente aufeinander reagieren können und nicht — wie im traditionellen „Schichtungsvorgang“ Libretto–Komposition–Inszenierung — nur eine Richtung möglich ist. Eine andere Besonderheit unserer Arbeit ist das Miteinbeziehen der szenischen Praxis während des Kompositionsvorgangs in Form von Vorproben mit den Interpreten. Insgesamt ist es eine gut eingespielte Teamarbeit, in der wir zwischen individuellen Ideen und kollektiven Entscheidungen eine gute Balance zu finden versuchen.
Die Sujets der letzten beiden Arbeiten waren im weitesten Sinne vom Surrealismus inspiriert. Ein solcher Ansatz ist auch bei Babel erkennbar. Ist diese Tendenz ein Stück Tradition, die du in deinen Arbeiten fortschreibst? Der Surrealismus war ja in der spanischen Literatur und Bildenden Kunst stark verankert.
Zweifellos hat dies mit meiner kulturellen Herkunft zu tun, auch wenn es auf einer unbewussten Ebene einfließt. Dabei spielen nicht nur der Surrealismus, sondern auch der humanistische Existenzialismus eines Miguel de Unamuno oder Ortega y Gasset sowie der lateinamerikanische „magische Realismus“ eine Rolle. Aber es hat auch mit einem fundamentalen Verständnis von Musiktheater zu tun: Matthias Rebstock und ich arbeiten nicht rein abstrakt. Wir haben einen sehr starken erzählerischen Impuls. Unsere Motivation ist es, Geschichten auf der Bühne in musikalischer Weise zu erzählen. Dazu sind allerdings zu realistische Stoffe ungeeignet, denn die Musik bricht per se den Naturalismus, indem sie eine weitere Bewusstseinsebene hineinbringt. Das ist auch genau das, was uns daran interessiert.Kannst du beschreiben, worum es in „Der Fall Babel“ geht?
Ausgehend von Texten eines Autors und zweier Autorinnen haben Matthias und ich den biblischen Mythos des Turms zu Babel umgedreht. In der Bibel gilt eine Utopie der Spracheinheit als paradiesischer Zustand, die Mehrsprachigkeit auf der Welt dagegen als Fluch Gottes. Wir aber nehmen uns die undurchschaubare Welt der Mehrsprachigkeit mit all ihren Widersprüchen vor und verzahnen drei musikalische Geschichten über die Schwierigkeiten der Kommunikation in verschiedenen Codes: das Übersetzen (Fabio Morábito), das Erlernen von unliebsamen Fremdsprachen (Cécile Wajsbrot) und die Suche nach der Sprache der Träume (Yoko Tawada). Die angeblich paradiesische Einsprachigkeit des Babel-Mythos ist bei uns eher mit einer Drohkulisse von Totalitarismus und kultureller Verarmung verbunden.Wo liegen bei diesem Projekt für euch die neuen Herausforderungen?
Unsere beiden Vorgängerstücke lebten sehr stark von den Instrumenten, sowohl wegen der farbigen Orchestration, die mir als Komponistin sehr nahe liegt, als auch wegen ihres szenischen Einsatzes. In „Der Fall Babel“, das von Sprache und menschlicher Kommunikation handelt, war dagegen von Anfang an der starke Wunsch da, mit einem Chor zu arbeiten: Stimme und Körper in Reinform schienen uns adäquater als Instrumente. Dazu kam die Erweiterung durch Schlagzeug und das Bespielen von Alltagsobjekten, die in den literarischen Vorlagen vorkommen. Irgendwann haben wir alle anderen Instrumente aus der Besetzung gestrichen, weil wir weder dramaturgisch noch musikalisch Platz dafür sahen. Dafür haben wir uns entschieden, mit Elektronik zu arbeiten, die den Klang der Stimmen nicht nur erweitert, sondern auch immer wieder in neuen Zusammenhängen erklingen lässt. Musikalisch war dies für mich eine komplett andere Arbeit als bei den Vorgängerstücken. Welche Möglichkeiten und Herausforderungen bietet der Theaterraum in Schwetzingen? Welche szenische Idee werdet ihr umsetzen?
Die Bühne in Schwetzingen ist sehr klein. Hier wollten wir die Gelegenheit nutzen, mal für eine richtig volle Bühne zu inszenieren. Das Sinnbild dafür war die leicht surreale Geschichte von Fabio Morábito „Los Vetriccioli“, die von dem labyrinthischen Haus einer Übersetzerfamilie handelt: Die ganze Familie übersetzt Tag und Nacht in allen Winkeln des Hauses. Das Haus ist so voll und verzweigt, dass irgendwann niemand mehr das ganze Haus kennt — eine Metapher für die Unübersichtlichkeit unserer mehrsprachigen und multikulturellen Welt, die wir visuell umsetzen wollten. Unsere Bühnenbildnerin Bettina Meyer hat einen wunderschönen zweistöckigen Kubus konzipiert, in dem die 17 Akteure immerfort des Stücks wie die unermüdlichen Babelturm-Konstrukteure an ihren „Übersetzungen“ arbeiten, und der sich je nach Erzählstrang dreht und eine jeweils andere Perspektive bietet.Du wirst 2019 den Heidelberger Künstlerinnenpreis erhalten. Für ein spezifisches Werk oder dein gesamtes Schaffen?
Der Preis, der mich sehr ehrt, wird für das gesamte Schaffen verliehen. Ich freue mich sehr darüber. ‹Der Fall Babel.
Musiktheater in 13 Szenen und ein Epilog
26. April 2019, 19 Uhr (Uraufführung)& 28. April 2019, 18 Uhr
Rokokotheater/Schloss SchwetzingenElena Mendoza wurde 1973 in Sevilla geboren. Sie studierte Germanistik in ihrer Heimatstadt, Klavier und Komposition in Zaragoza bei Teresa Catalán, in Augsburg bei John Van Buren, in Düsseldorf bei Manfred Trojahn und in Berlin bei Hanspeter Kyburz. Es folgten mehrere Stipendien, unter anderem an der Ensemble Modern Akademie in Frankfurt. Aktuell lebt und arbeitet sie in Berlin. An der dortigen Universität der Künste ist sie Professorin für Komposition. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, aktuell mit dem Heidelberger Künstlerinnenpreis 2019.Mitmachen und gewinnen!
Schicken Sie uns eine E-Mail mit dem Betreff „Verlosung Babel“ und gewinnen Sie 2 x 2 Tickets für „Der Fall Babel“ am 28. Mai 2019. E-Mail an: schwetzinger-swr-festspiele@swr.de (Einsendeschluss: 09. April 2019).
2005 habe ich vom Europäischen Zentrum der Künste in Dresden den Auftrag erhalten, ein Musiktheaterstück zu schreiben, das die Möglichkeiten des damals gerade renovierten wunderschönen Tessenow-Saals in Hellerau nutzte. Nach einigen kleineren Versuchen in Opernhäusern war ich von der Schwerfälligkeit der gängigen Produktionsmethoden sehr ernüchtert. Daher war es mir ein großes Anliegen, einen durchlässigeren Arbeitsvorgang zu entwickeln. Zwei Dinge waren mir dabei nach den ersten Opernerfahrungen klar: Ich wollte mit einem Regisseur von Anfang an zusammenarbeiten, bevor die erste Note geschrieben ist. Und ich wollte den Text mit ihm parallel zur Musik entwickeln. Matthias Rebstock war damals ebenfalls auf der Suche nach einer kollaborativen Form des Musiktheaters. Daraus entstand für Hellerau unser erstes Musiktheaterstück „Niebla“.Eure Form der Ko-Autorenschaft ist — soweit ich das überblicke — ziemlich einzigartig. Kannst du beschreiben, wie sich eure Zusammenarbeit vollzieht: Wie durchdringen sich kompositorische und szenische Arbeit und wo bleibt die Arbeit autark?
Ausgehend von literarischen Texten steht für uns das Imaginieren des szenischen Settings immer am Anfang. Dabei wird Szene für Szene bestimmt, welche unterschiedlichen Rollen die Musik, der Text und der Raum spielen werden. Die Musik und der Text werden dann entsprechend komponiert. Das sollte gewährleisten, dass alle Elemente aufeinander reagieren können und nicht — wie im traditionellen „Schichtungsvorgang“ Libretto–Komposition–Inszenierung — nur eine Richtung möglich ist. Eine andere Besonderheit unserer Arbeit ist das Miteinbeziehen der szenischen Praxis während des Kompositionsvorgangs in Form von Vorproben mit den Interpreten. Insgesamt ist es eine gut eingespielte Teamarbeit, in der wir zwischen individuellen Ideen und kollektiven Entscheidungen eine gute Balance zu finden versuchen.
Zweifellos hat dies mit meiner kulturellen Herkunft zu tun, auch wenn es auf einer unbewussten Ebene einfließt. Dabei spielen nicht nur der Surrealismus, sondern auch der humanistische Existenzialismus eines Miguel de Unamuno oder Ortega y Gasset sowie der lateinamerikanische „magische Realismus“ eine Rolle. Aber es hat auch mit einem fundamentalen Verständnis von Musiktheater zu tun: Matthias Rebstock und ich arbeiten nicht rein abstrakt. Wir haben einen sehr starken erzählerischen Impuls. Unsere Motivation ist es, Geschichten auf der Bühne in musikalischer Weise zu erzählen. Dazu sind allerdings zu realistische Stoffe ungeeignet, denn die Musik bricht per se den Naturalismus, indem sie eine weitere Bewusstseinsebene hineinbringt. Das ist auch genau das, was uns daran interessiert.Kannst du beschreiben, worum es in „Der Fall Babel“ geht?
Ausgehend von Texten eines Autors und zweier Autorinnen haben Matthias und ich den biblischen Mythos des Turms zu Babel umgedreht. In der Bibel gilt eine Utopie der Spracheinheit als paradiesischer Zustand, die Mehrsprachigkeit auf der Welt dagegen als Fluch Gottes. Wir aber nehmen uns die undurchschaubare Welt der Mehrsprachigkeit mit all ihren Widersprüchen vor und verzahnen drei musikalische Geschichten über die Schwierigkeiten der Kommunikation in verschiedenen Codes: das Übersetzen (Fabio Morábito), das Erlernen von unliebsamen Fremdsprachen (Cécile Wajsbrot) und die Suche nach der Sprache der Träume (Yoko Tawada). Die angeblich paradiesische Einsprachigkeit des Babel-Mythos ist bei uns eher mit einer Drohkulisse von Totalitarismus und kultureller Verarmung verbunden.Wo liegen bei diesem Projekt für euch die neuen Herausforderungen?
Unsere beiden Vorgängerstücke lebten sehr stark von den Instrumenten, sowohl wegen der farbigen Orchestration, die mir als Komponistin sehr nahe liegt, als auch wegen ihres szenischen Einsatzes. In „Der Fall Babel“, das von Sprache und menschlicher Kommunikation handelt, war dagegen von Anfang an der starke Wunsch da, mit einem Chor zu arbeiten: Stimme und Körper in Reinform schienen uns adäquater als Instrumente. Dazu kam die Erweiterung durch Schlagzeug und das Bespielen von Alltagsobjekten, die in den literarischen Vorlagen vorkommen. Irgendwann haben wir alle anderen Instrumente aus der Besetzung gestrichen, weil wir weder dramaturgisch noch musikalisch Platz dafür sahen. Dafür haben wir uns entschieden, mit Elektronik zu arbeiten, die den Klang der Stimmen nicht nur erweitert, sondern auch immer wieder in neuen Zusammenhängen erklingen lässt. Musikalisch war dies für mich eine komplett andere Arbeit als bei den Vorgängerstücken. Welche Möglichkeiten und Herausforderungen bietet der Theaterraum in Schwetzingen? Welche szenische Idee werdet ihr umsetzen?
Die Bühne in Schwetzingen ist sehr klein. Hier wollten wir die Gelegenheit nutzen, mal für eine richtig volle Bühne zu inszenieren. Das Sinnbild dafür war die leicht surreale Geschichte von Fabio Morábito „Los Vetriccioli“, die von dem labyrinthischen Haus einer Übersetzerfamilie handelt: Die ganze Familie übersetzt Tag und Nacht in allen Winkeln des Hauses. Das Haus ist so voll und verzweigt, dass irgendwann niemand mehr das ganze Haus kennt — eine Metapher für die Unübersichtlichkeit unserer mehrsprachigen und multikulturellen Welt, die wir visuell umsetzen wollten. Unsere Bühnenbildnerin Bettina Meyer hat einen wunderschönen zweistöckigen Kubus konzipiert, in dem die 17 Akteure immerfort des Stücks wie die unermüdlichen Babelturm-Konstrukteure an ihren „Übersetzungen“ arbeiten, und der sich je nach Erzählstrang dreht und eine jeweils andere Perspektive bietet.Du wirst 2019 den Heidelberger Künstlerinnenpreis erhalten. Für ein spezifisches Werk oder dein gesamtes Schaffen?
Der Preis, der mich sehr ehrt, wird für das gesamte Schaffen verliehen. Ich freue mich sehr darüber. ‹Der Fall Babel.
Musiktheater in 13 Szenen und ein Epilog
26. April 2019, 19 Uhr (Uraufführung)& 28. April 2019, 18 Uhr
Rokokotheater/Schloss SchwetzingenElena Mendoza wurde 1973 in Sevilla geboren. Sie studierte Germanistik in ihrer Heimatstadt, Klavier und Komposition in Zaragoza bei Teresa Catalán, in Augsburg bei John Van Buren, in Düsseldorf bei Manfred Trojahn und in Berlin bei Hanspeter Kyburz. Es folgten mehrere Stipendien, unter anderem an der Ensemble Modern Akademie in Frankfurt. Aktuell lebt und arbeitet sie in Berlin. An der dortigen Universität der Künste ist sie Professorin für Komposition. Sie wurde mehrfach ausgezeichnet, aktuell mit dem Heidelberger Künstlerinnenpreis 2019.Mitmachen und gewinnen!
Schicken Sie uns eine E-Mail mit dem Betreff „Verlosung Babel“ und gewinnen Sie 2 x 2 Tickets für „Der Fall Babel“ am 28. Mai 2019. E-Mail an: schwetzinger-swr-festspiele@swr.de (Einsendeschluss: 09. April 2019).
Bildnachweis:
Pieter Breughel d.Ä.; Javier del Real (Mendoza/Rebstock)Schwetzinger SWR Festspiele
Die Schwetzinger SWR Festspiele sind seit 1952 ein internationales Festival der klassischen Musik. Jährlich präsentieren sie im Frühjahr in den historischen Räumlichkeiten des Schwetzinger Schlosses über 50 Konzerte. Ihre Veranstaltungen werden vom Rundfunk begleitet und weltweit gesendet. Neben zahlreichen Konzerten umfasst das Programm auch Oper und Musiktheater, Klanginstallationen und viele SWR Kultur Sendungen vor Ort. Im Auftrag der Festspiele entsteht jedes Jahr eine Musiktheaterproduktion, mit deren Uraufführung die Saison festlich eröffnet wird.
TerminFR 26. April bis SA 25. Mai 2019
AdresseSchwetzinger SWR Festspiele gGmbH // Hans-Bredow-Straße // 76530 Baden-Baden //Kartentelefon: 07221 300200
SpielorteSchwetzinger Schloss, Dom zu Speyer und Dreifaltigkeitskirche, Speyer
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