TECHNOSEUM

„Achtung, Achtung! Hier ist die Sendestelle Berlin …“

  • technoseum ausstellung mediengeschichte Anke ­Keller Martin Weiss
Ein Jahrhundert Rundfunkgeschichte — warum ist dieses Jubiläum so wichtig?
Anke Keller: Heute stehen uns dank Internet und Smartphones jederzeit Informationen und Nachrichten zur Verfügung, und zwar in grenzenlosem Umfang. Viele können sich schon gar nicht mehr vorstellen, dass das nicht immer so war. Dabei waren Bücher und Zeitungen sehr lange die wesentlichen Quellen für Nachrichten und Unterhaltung. Erst im 20. Jahrhundert erschien ein Medium auf der Bildfläche, mit dem sich Nachrichten schnell und für ein breites Publikum verbreiten ließen: das Radio. Gemeinsam mit dem Fernsehen hat es als Massenmedium die letzten 100 Jahre maßgeblich geprägt und verändert.

Und warum eine Ausstellung gerade in Mannheim?
Keller: Ganz einfach, weil wir zu dem Thema sehr viel zu zeigen haben: Das TECHNOSEUM besitzt eine der größten Sammlungen zur Rundfunkgeschichte in Europa. Wir haben 2014 die umfangreichen Bestände vom Südwestrundfunk und vom ehemaligen Deutschen Rundfunkmuseum in Berlin, bis dahin verwaltet vom Deutschen Rundfunkarchiv, übernommen und zeigen diese nun erstmals in einem größeren Rahmen der Öffentlichkeit. Das heißt aber nicht, dass wir all das zeigen, was wir tatsächlich haben — so besitzt unser Museum allein schon 2.300 Radios!

„Die Funktechnik hatte anfangs Schwächen,
wie man beim Untergang der Titanic merkte.“


Das heißt, es gibt jede Menge alte Technik zu sehen?
Martin Weiss: Nicht nur das. Wir gehen zu Beginn der Ausstellung erstmal zurück zu den Anfängen der Funktechnik, etwa zu Heinrich Hertz, der 1886 erstmals elektromagnetische Wellen experimentell nachwies, und zu Guglielmo Marconi und dem von ihm entwickelten Funkapparat. Die Funktechnik kam anfangs nur sehr begrenzt zum Einsatz, etwa beim Militär oder in der zivilen Schifffahrt. Und sie hatte Schwächen, wie man 1912 beim Untergang der Titanic merkte.

Inwiefern?
Weiss: Damals hatten viele kleinere Schiffe noch gar keine Funkgeräte an Bord. Bei anderen wiederum war nur ein Funker an Bord, der nachvollziehbarerweise nicht rund um die Uhr erreichbar war. Die Schiffe, die mit einer Marconi-Funkanlage ausgestattet waren, durften Nachrichten nur von Schiffen mit entsprechenden Anlagen annehmen. Als ob das noch nicht genug wäre, hatten die Telegramme von Passagieren stets Priorität. Die als Morsezeichen gesendeten Notrufe der Titanic bekamen die Funker anderer Schiffe deshalb gar nicht richtig mit. All das trug dazu bei, dass nur ein einziges Schiff dem sinkenden Dampfer zu Hilfe eilte und erst vier Stunden nach der Havarie vor Ort war. Nach dieser Katastrophe wurden deshalb Abläufe geändert und Sicherheitsregeln verschärft. Zwischen den Schiffen wurde ein freier Funkverkehr zum Standard.
  • technoseum ausstellung mediengeschichte Kuba Imperial Komet Gerhard Kubetschek
    Zeugen der Geschichte — der „Kuba Imperial Komet“ (1957) war eines der Tonmöbel, die Gerhard Kubetschek
    in seiner Firma „Kuba“ herstellte und das Fernseher, Radio, Plattenspieler und Lautsprecher kombinierte.
  • technoseum ausstellung mediengeschichte farbfernsehen willy brandt roter knopf
    Alles so schön bunt hier — diesen Knopf betätigte Willy Brandt 1967 auf der Internationalen Funk-Ausstellung in Berlin und läutet damit die Ära des Farbfernsehens ein.
Welches sind die Highlights der Ausstellung?
Weiss: Wir haben diverse große Objekte am Start, bauen etwa ein komplettes Hörfunkstudio des SWR aus den 1960er-Jahren bei uns auf. Und wir zeigen auch Kurioses, etwa den roten Knopf, auf den Willy Brandt 1967 in einer Live-Sendung auf der Internationalen Funk-Ausstellung drückte, um die Ära das Farbfernsehens einzuläuten. Der Knopf ist übrigens eine Attrappe: Den echten Schalter betätigte ein Techniker hinter der Bühne — und zwar etwas zu früh, sodass das Fernsehen schon kurz vor dem Knopfdruck des damaligen Bundeskanzlers in Farbe sendete.

„Es gibt ein Wiedersehen mit
Kindheitshelden, etwa von der Augsburger
Puppenkiste und aus der Sesamstraße.“


„Irgendwas mit Medien“ ist der Berufswunsch vieler junger Menschen heutzutage. Welche Medienberufe sind denn Thema in der Ausstellung?
Keller: Ganz typisch ist natürlich der Beruf des Rundfunk-Reporters, der sich ab den 1920er-Jahren herausbildete. Youtuber*-innen und Influencer*innen sind heute richtige Stars, für viele Kids ist das ein Traumberuf, mit diesem Phänomen beschäftigen wir uns natürlich auch. Doch wir nehmen auch Medienberufe in den Fokus, die es mittlerweile nicht mehr gibt — wie zum Beispiel den des Geräuschmachers, der ganz analog und mit einer Vielzahl von Alltagsgegenständen Filme mit den passenden Soundeffekten versah. In der Ausstellung können die Besucher*innen in dessen Rolle schlüpfen und selbst Filmsequenzen vertonen. Unsere TECHNOscouts führen zudem regelmäßig eine Sende-Bildregie des RNF aus den 1990erJahren vor und geben so Einblicke in die Arbeitsabläufe in einem TV-Studio.

Worauf freuen Sie persönlich sich am meisten?
Keller: Ich denke, Spaß werden die Besucher*innen vor allem mit den Objekten haben, die wir alle kennen und mit denen wir Erinnerungen und Emotionen verknüpfen: Es gibt ein Wiedersehen mit Kindheitshelden, etwa von der Augsburger Puppenkiste und aus der Sesamstraße. Aber wir zeigen auch Objekte rund um die Serien „Dallas“, „Denver-Clan“ und „Lindenstraße“ und ein Original-Film-Set aus „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“.

„Algorithmen bestimmen, welche Beiträge
man sieht, die Kontrolle liegt in den Händen
kommerzieller Großkonzerne.“


Die Ausstellungen im TECHNOSEUM sind immer auch interaktiv. Was können die Besucher*innen denn konkret anfassen und tun?
Weiss: Wir haben insgesamt zwölf Mitmach-Stationen. So können sich die Besucher*innen zum Beispiel vor einen Greenscreen stellen und in die Rolle eines Nachrichtensprechers schlüpfen oder die Intro-Melodien legendärer Serien erraten. An einer Augmented-Reality-Fotostation kann man ein Foto von sich selbst machen, und zwar mit keinen Geringeren als der Maus, der Ente und dem Elefanten. Und der Medienkompetenz widmen wir sogar einen eigenen Bereich, weil das Thema so aktuell und wichtig ist.

Was heißt das genau?
Keller: Heute kann jede und jeder die eigene Meinung veröffentlichen. Algorithmen bestimmen, welche Beiträge man sieht, die Kontrolle liegt in den Händen kommerzieller Großkonzerne. Deshalb müssten Nutzer*innen eigentlich laufend prüfen, welchen Inhalten sie noch vertrauen können. Das zeigen wir mit einem Faktenchecker-Spiel, bei dem man Nachrichten einem Fake-News-Test unterzieht und herausfindet, wie Such-Algorithmen und Filterblasen im Netz funktionieren. So möchten wir im Mediendschungel etwas Orientierung geben. ‹


Auf Empfang! Die Geschichte von Radio und Fernsehen
Große Sonderausstellung Baden-Württemberg
17. November 2022 bis 12. November 2023
täglich 9–17 Uhr, geschlossen am 24. und 31. Dezember 2022
TECHNOSEUM Mannheim
www.technoseum.de
Bildnachweis:
TECHNOSEUM, Klaus Luginsland (Roter Knopf/Filmklappe/Kurator*innen); TECHNOSEUM, Foto: Deutsches
Rundfunk-Museum (DRM)/Archiv-Verlag (Tonmöbel)

TECHNOSEUM

Das TECHNOSEUM ist eines der großen Technikmuseen in Deutschland. Die Entwicklungen in Naturwissenschaften und Technik vom 18. Jahrhundert bis heute sowie der soziale und wirtschaftliche Wandel, den die Industrialisierung ausgelöst hat, sind Themen der Dauerausstellung. Maschinen werden nicht einfach gezeigt, sondern in Ensembles inszeniert, Vorführtechniker erklären Arbeitsabläufe und beantworten Fragen. Selbst aktiv werden darf man in der Experimentier-Ausstellung „Elementa“: Technische Erfindungen lassen sich hier durch eigenes Ausprobieren nacherleben. Mit Sonderausstellungen zu Themen aus Naturwissenschaften, Technik und Gesellschaft ist das Museum zugleich Forum für aktuelle Debatten. Komplettiert wird das Programm durch Vorträge, Workshops und spezielle Angebote für Kinder und Jugendliche.
AdresseTECHNOSEUM // Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim // Museumsstr. 1 // 68165 Mannheim // Telefon: 0621 4298-9 // E-Mail: info@technoseum.de
Öffnungszeitentäglich 9 bis 17 Uhr
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