› Im März 1926 besucht die Karlsruher Klasse der dortigen Kunstakademie — zu diesem Zeitpunkt Hochburg und Talentschmiede der „Neuen Sachlichkeit“ — die Mannheimer Kunsthalle. Hanna Nagel, 19-jährige Kunststudentin aus Heidelberg, lässt sich vor dem Eingang des von Hermann Billing 1907 errichteten Gebäudes fotografieren. In einem Eintrag in ihrem Fotoalbum vom 16. März 1926 zu diesem Foto schreibt sie, dass ihr Lehrer Karl Hubbuch dies furchtbar geschmacklos gefunden habe. Er fasste das offenbar als Anmaßung der angehenden jungen Künstlerin auf. Macht und Gewalt zwischen Mann und FrauWenige Jahre später: Direktor Gustav F. Hartlaub veranstaltet 1931 eine Gruppen-Ausstellung — mit dabei sind Zeichnungen einer jungen Nachwuchs-Künstlerin, mittlerweile in Berlin lebend, Hanna Nagel. Eine Anekdote, die symbolisch ist für ein Künstlerinnendasein in einer patriarchalen Gesellschaft, in der Nagel mal Förderung, mal Ablehnung erfährt, ihr Erfolg aber immer abhängig bleibt von den Männern, die sie umgeben. Hanna Nagel ist aber nicht aufzuhalten und macht genau dies zum Thema ihrer Arbeit. „Wie kaum eine andere Künstlerin ihrer Zeit hat sie sich mit Machtmissbrauch und Gewalt zwischen Mann und Frau auseinandergesetzt“, erklärt Kuratorin Inge Herold. „Dabei beleuchtet sie ein Phänomen meist aus zwei Perspektiven, nie sind die Opfer- und die Täterrolle nur einem Geschlecht zugeordnet.“
Heute ist Hanna Nagel (1907–1975) nur noch wenig bekannt, eine Wiederentdeckung aber mehr als lohnenswert. In ihrer Kunst gibt es viel zu entdecken, das durch Aktualität und Zeitlosigkeit verblüfft und durch Drastik und Könnerschaft berührt: von der Kritik am Abtreibungsparagrafen 218 über die Frage nach Selbstverwirklichung in einer Ehe bis hin zur eigenen Geschlechtsidentität. „Der Großteil ihres Werkes und des schriftlichen Nachlasses befindet sich noch heute in Privatbesitz und ist nicht gänzlich erschlossen“, erklärt Herold. Die Künstlerin selbst trug dazu bei, indem sie ihr kritisches Frühwerk der Öffentlichkeit entzog. Aleinerziehend im Nachkriegs-MannheimIm Jahr 1929 siedelte sie mit dem Künstler Hans Fischer, den sie 1931 heiratete, nach Berlin über. Bereits in dieser Zeit entfernte sie sich von dem neusachlichen Zeichenstil. Mit Aufenthalten in Rom 1933/34 und 1935/36 nahmen die poetische Mystifizierung der Themen und der Rückgriff auf historisierende Motive weiter zu. Auch die Todesthematik erhielt eine immer größere Bedeutung und steht für den Rückzug in eine innere Welt. 1938 verwirklichte sich mit der Geburt der Tochter Irene die lang thematisierte Mutterschaft. Nach 1945 gelingt es Hanna Nagel nicht, ihre künstlerische Karriere fortzuführen. Sie trennt sie sich von ihrem Mann und bestreitet als Alleinerziehende ihren Lebensunterhalt durch Buchillustrationen, Gebrauchsgrafik für die Firma BBC in Mannheim, Zeichenunterricht und journalistische Tätigkeiten. „Unsere Schau ermöglicht eine Auseinandersetzung mit dieser spannenden Künstlerin. Ein großes Glück war es, durch ihre Tochter den Zugang zum Nachlass und Einblicke in Hanna Nagels Leben zu bekommen“, berichtet Herold. Durch die rund 190 Arbeiten auf Papier, die in der Kunsthalle zu sehen sein werden, wird deutlich, wie singulär ihre Arbeiten, wie innovativ ihr Motivschatz und ihre Bildsprache sind. ‹Zur Schau erscheint ein Katalog im Deutschen Kunstverlag.Hanna Nagel
08. April bis 03. Juli 2022
Kunsthalle Mannheim
kuma.art
08. April bis 03. Juli 2022
Kunsthalle Mannheim
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Bildnachweis:
Hanna Nagel: Schmarotzer, 1930Kunsthalle Mannheim
Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
Infoskuma.art