› Welch ein Pomp am Stuttgarter Hof im 18. Jahrhundert! Dort regiert der junge Eberhard Ludwig als erster absolutistischer Fürst im pietistisch geprägten Land. Er liebt die Frauen und den barocken Überschwang. Da ihm die enge mittelalterliche Burganlage in Stuttgart zu altmodisch ist, lässt er 1704 das Residenzschloss in Ludwigsburg nach Versailler Vorbild errichten. Als die Bauarbeiten beginnen, packt der Komponist Johann Sigismund Kusser schon wieder seine Koffer, um nach London weiterzuziehen. Er bekleidete seit 1699 die Stelle des Hofkapellmeisters am Stuttgarter Hof und präsentierte dort seine Oper „Adonis“. Wie sie bei Fürst und Publikum ankam, ist nicht überliefert. Nur so viel: Nach der Premiere fiel sie in den Dornröschenschlaf. Eine Barockoper aus SüddeutschlandMehr als drei Jahrhunderte später wird sie nun auf der Bühne des Rokokotheaters in Schwetzingen wieder zum Leben erweckt. Erstmals präsentieren Ulrike Schumann und Thomas Böckstiegel, die gemeinsam die Opernsparte des Heidelberger Theaters und das Festival „Winter in Schwetzingen“ leiten, kein Werk aus Norddeutschland, sondern aus der württembergischen Nachbarschaft. Kussers Werk, das in die Zeit des Frühbarocks fällt, ist in vielerlei Hinsicht besonders. „Der Komponist gehört zur Generation vor den bekannten Barockkomponisten Keiser, Telemann und Schürmann und ist ihnen ein Vorbild gewesen“, sagt Schumann. Außerdem ist Kusser ein reiselustiger Kosmopolit. Seine Mobilität spiegelt sich auch in seiner Musik wider. Mit 16 Jahren geht er nach Paris, wo ihn der weltbekannte Hofkomponist Jean-Baptiste Lully unter seine Fittiche nimmt. „Kusser pflegte keinen typisch deutschen, sondern einen französisch-deutschen Stil. Die Musikgeschichte zeigt in seinem Fall, wie wichtig der internationale Zusammenhalt ist“, betont Böckstiegel. Kusser wird 1660 in Pressburg, dem heutigen Bratislava, als Sohn eines evangelischen Kantors geboren. Als er 14 Jahre alt ist, zieht die Familie nach Stuttgart. Schon zwei Jahre später sucht er sein Glück in Frankreich und lernt bei Lully, auf französische Art zu komponieren. 1690 wird er erster Kapellmeister an der Braunschweiger Oper, vier Jahre später heuert er an der Gänsemarktoper in Hamburg an. Es folgt die Phase am Stuttgarter Hof, bevor er sich nach London und später nach Dublin begibt. Die Welt der Göttinnen und GötterDass Kusser für seine Oper einen mythologischen Stoff wählt, ist nichts Besonderes. Zu seinen Lebzeiten sind diese Geschichten jedem vertraut. Doch wie bringt man die Romanze von Adonis und Venus dem heutigen Publikum nahe? Der Inhalt ist bekannt: Cupido schießt wie wild mit seinen Liebenspfeilen durch die Gegend und trifft Venus, die sofort für den wunderschönen Jüngling Adonis entbrennt. „Unsere Aufgabe ist es, die Geschichte so zu erzählen, dass es nicht nur ein barockes Gemälde ist, sondern uns die Figuren dahinter etwas sagen“, betont Schumann. Gemeinsam mit dem spanischen Regisseur Guillermo Amaya und dem Bühnen- und Kostümbildner Stefan Rieckhoff hat die Dramaturgin ein szenisches Erzählkonzept entwickelt. Auf der Bühne stehen Sänger*innen, die aus ihrer Welt in die der Göttinnen und Götter abtauchen. „Unser junges Ensemble bringt seine eigenen Geschichten mit und schlüpft dann in die Kostüme und Rollen“, erläutert Schumann.
Die musikalische Leitung übernimmt der Spezialist für Alte Musik Jörg Halubek. Ein Kusser-Kenner, denn er hat „Adonis“ bei der Stuttgarter Barockwoche vor zwei Jahren konzertant aufgeführt. Bei ihrer Recherche stießen das Heidelberger Direktionsduo und Halubek vor Jahren unabhängig voneinander auf die Barockoper, die australische Wissenschaftler*innen 2005 in der Württembergischen Landesbibliothek entdeckt hatten. „Eine Schlüsselperson wies uns darauf hin, dass Halubek am selben Stück wie wir arbeitete“, erinnert sich Böckstiegel. Schnell stellten die drei fest, dass sie auf gleicher Wellenlänge sind, und kooperierten miteinander. Das Barockfest als KarrieresprungbrettDer Cast besteht aus sieben Sänger*innen. Neben Theresa Immerz (Venus) und João Terleira (Cupido) aus dem eigenen Haus ergänzen hochkarätige Gäste das Ensemble. Die Titelpartie übernimmt Jonas Müller, der gerade beim Heidelberger Frühling gastierte und von dem man laut Böckstiegel noch viel hören wird. Ebenfalls dabei sein werden der französische Countertenor Rémy Brès-Feuillet (Apollo), der den namhaften Cesti-Gesangswettbewerb gewonnen hat, der Bassbariton Sreten Manojlović (Vulcanus) und die junge Zuzana Petrasová (Daphne). Für sie alle eine Chance, denn immer wieder dient das Schwetzinger Barockfest als Karrieresprungbrett. „Es gibt einige, die zu Beginn ihrer Karriere hier auf der Bühne standen und dann eine Weltkarriere gemacht haben“, freut sich Böckstiegel und nennt als Beispiel den Opernsänger Philipp Mathmann. Mal sehen, wie der Weg des diesjährigen Ensembles weiter verläuft. ‹Winter in Schwetzingen
23. November 2024 bis 25. Januar 2025
Schloss Schwetzingen, Peterskirche und Theater Heidelberg
www.theaterheidelberg.de
23. November 2024 bis 25. Januar 2025
Schloss Schwetzingen, Peterskirche und Theater Heidelberg
www.theaterheidelberg.de
Bildnachweis:
Günther Bayerl Winter in Schwetzingen
Seit mehr als 15 Jahren bietet das Barock-Fest im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses Begegnungen mit Opernraritäten des Barocks. Inzwischen hat das Festival einen festen Platz in der deutschen Kulturlandschaft, immer wieder werden Aufführungen durch die Fachpresse als »Wiederentdeckung des Jahres« gewürdigt. Neben dem zentralen Werk, das in einer Neuinszenierung das Zentrum einer jeden Ausgabe bildet, bieten hochkarätige Konzerte in der kurfürstlichen Sommerresidenz den Rahmen. Mit der künstlerischen Leitung des Direktionsteams Ulrike Schumann und Thomas Böckstiegel widmet sich der Winter in Schwetzingen seit 2019 der Wiederentdeckung der Werke deutscher Barockkomponisten.
TerminSA 23. November 2024 bis SA 25. Januar 2025
AdresseTheater und Orchester Heidelberg // Theaterstraße 10 // 69117 Heidelberg
SpielorteSchloss Schwetzingen